Entscheidungen mal anders

Münze für Entscheidungen

Warum Widerstände manchmal bessere Wegweiser sind als Zustimmungen

Heute ist es also soweit. Die Briten verlassen die EU. Verhandlungstechnisch ist nach dem Brexit allerdings mal wieder vor dem Brexit und jetzt kommt der womöglich noch schwierigere Teil. Wie sollen die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien geregelt werden. Da sind auch wieder Entscheidungen zu treffen. Da der Entscheidungsprozess zum Brexit mit einer demokratischen Zustimmungsabfrage in der Ja/Nein-Logik aus vielerlei Sicht nicht so wirklich optimal verlaufen ist, möchte ich auf etwas andere Art und Weise auf Entscheidungen blicken: Statt um die Zustimmung, geht es um die Widerstände - an denen die spätere Umsetzung der Entscheidung auch häufig scheitert.

 

Planen Sie gerade vielleicht Ihren nächsten Urlaub und freuen sich auf viele erholsame und erlebnisreiche Momente? Vielleicht erinnern Sie sich dabei an den letzten Urlaub und daran, dass nicht immer alle in gleichem Maße begeistert oder einige gar missmutig waren. Oder, dass es "ich will nach Hause-"Gezeter wegen der generellen Entscheidung zur Wahl des Urlaubsortes oder auch der Aktivitäten vor Ort gab. So ein kleiner Exit vom Bodensee zum Beispiel. Und wenn Sie darüber nachdenken, dann hat es womöglich schon im Vorfeld die ein oder andere Meinungsverschiedenheit gegeben. Im Coaching sind Entscheidungen und der Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen immer wieder ein Thema. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Aussage eines Demokratieforschers und Journalisten, dass er als Demokrat gelernt habe, „ein glücklicher Verlierer zu sein“. Er meinte wohl unter anderem, dass es in Demokratien ein häufiges Phänomen ist, dass eine letztlich getroffene Entscheidung nicht den eigenen Wünschen entspricht und man trotzdem nicht sofort auswandern und stattdessen in der Gesellschaft „gut“ weiter leben möchte.  Und eine Familie ist so etwas wie eine kleine Gesellschaft, aus der man auch nicht beliebig auswandern kann – auch wenn man manchmal möchte. Und in der finden sich immer wieder Familienmitglieder in der Minderheitenposition nach einer demokratischen Familienratsabstimmung oder gar diktatorischen Oberhaupts-Entscheidung.

 

Was bei einfachen demokratischen Abstimmungen herauskommt, erleben wir exemplarisch in Großbritannien – oder Sie bei der Bergtour, wenn jemand jammert, dass es am Meer doch jetzt viel schöner wäre. Oder im Museum, wenn die Kinder sagen, dass es im Kino viel besser wäre und überhaupt ja vorher klar war, dass die Bilder eh keiner versteht. Und bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sowohl in der Familie als auch in der großen Politik die Demokratie meist nach Zustimmung fragt und dann dort vor allem die lautesten Lautsprecher Gehör finden. Und nach der Entscheidung wird es nicht durch diejenigen anstrengend, die zugestimmt haben, sondern gerade durch diejenigen, die „verloren“ haben. Deren Widerstand grummelt nämlich weiter – ausgesprochen und vor allem unausgesprochen. Bis zum Ausbruch jedenfalls.

 

Hier könnte es für die Entscheidung hilfreich sein, den für viele zunächst paradoxen Weg einzuschlagen, nicht nach Zustimmung, sondern ganz ausdrücklich nach dem Widerstand zu fragen. Das passt auch zu der Lebenserfahrung, dass es sowieso fast nie eine Lösung gibt, der alle unumwunden zustimmen können. Wie könnte man das tun? Ganz praktisch ist es beispielsweise möglich, mit den Fingern einer Hand anzugeben, wie groß der Widerstand gegenüber einer Option empfunden wird (z.B. 1= alles okay, Daumen hoch, 2=ich kann da ganz gut mitgehen, 3=na ja, da passt mir einiges nicht, 4=das macht mir schon ganz ordentlich Bauchschmerzen, 5=das will ich verhindern, nicht mir mir). Bei großen Widerständen einer Person kann gefragt werden, wie sich der- oder diejenige eine Veränderung des Vorschlags vorstellen kann, damit der Widerstand geringer wird. Da können auch alle gemeinsam mit überlegen. Man wiederholt die Abfragen mehrfach und wählt am Ende diejenige Option mit dem geringsten Widerstand.

 

Das Ergebnis ist in mehrerlei Hinsicht vorteilhaft: Alle haben gemeinsam gesehen, dass es keine Lösung gibt, die bei niemandem Widerstand produziert. Alle wurden gehört und konnten ihre Einwände vorbringen und man ist gemeinsam vorbereitet. Man hat schon vorher gemeinsam Verbesserungen (oder zumindest Ausgleich) gefunden und es wurde die Option gewählt, die für alle sichtbar den geringsten Gesamtwiderstand hat. Und wenn die Ausstellung im Museum dann wirklich Mist ist, wird eben der vorab besprochene Ausgleich gewährt: Das Eis oder die Sicherheit, dass schon jetzt klar ist, dass es beim nächsten Mal ins Kino geht.

 

Mindestens zwei Nachteile der ansonsten üblichen Zustimmungsentscheidung werden damit also bearbeitet: Erstens sorgen die Verlierer ansonsten mindestens unbewusst dafür, dass sie Recht behalten und die Vorhaben scheitern werden. Zweitens bleiben durch die fehlenden Verbesserungsschleifen bessere Möglichkeiten unentdeckt. Das an dieses Nachteile andockende widerstandsbasierte Verfahren biete ich auch immer wieder in Unternehmen zur Optimierung von Entscheidungsprozessen an.

 

In diesem Sinne: Viel Freude am Bodensee oder Mittelmeer oder in den Alpen oder wo auch immer Sie Ihren tollen und widerstandsreduzierten Urlaub verbracht haben werden.

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